Orgelspaziergang, Teil 2
Paulus-Orgel (Metzler 2009)
Hans Balmer Orgel
György Ligeti (1923–2006)
Zwei Etüden für Orgel:
I. Harmonies (1967)
II Coulée (1969)
Mi-Sun Chang Orgel
Ulrich Gasser (*1950)
La Roche aux Fées (1988)
Olivier Messiaen (1908–1992)
Livre d’Orgue: Pièce en trio (1951)
Mayu Okishio Orgel
Rudolf Meyer (*1943)
Toccata per l’Elevazione dell’Organo Metzler (1960)
Zwei Klassiker der modernen Orgelliteratur stehen hier zwei neueren Schweizer Kompositionen gegenüber: Olivier Messiaen und György Ligeti neben Ulrich Gasser und Rudolf Meyer.
György Ligetis Musik, die auf den ersten Blick so sehr von der Klangflächenkomposition geprägt scheint, war stets auch ein «trompe l’oreille», also der Versuch, das Ohr zu überlisten und durch raffinierte Verfahrensweisen ungewöhnliche Höreindrücke zu erzeugen. Das wird auch in diesen Orgeletüden aus den späten 60er Jahren deutlich. Beide variieren das Motiv des stationären Klangraums: Die erste, «Harmonies», entfaltet sich als ununterbrochene Kette zehnstimmiger Akkorde. Von einem Akkord zum anderen ändert sich jedoch jeweils nur ein Ton. Dafür wechselt die Klangfarbe häufig mit unmerklichen, kontinuierlichen Übergängen. Die zweite, «Coulée», ist eine Folge extrem schnell zu spielender Achtelbewegungen, die eine allmählich fortschreitende Akkordprogression umschreiben und in tremolierend-flirrende Bewegung versetzen – «so dass die Einzeltöne kaum mehr wahrzunehmen sind: Die Bewegung verschmilzt fast zu einem Kontinuum», wie der Komponist schreibt.
Olivier Messiaen «Livre d’orgue» aus dem Jahr 1951 ist ein Höhepunkt seiner avantgardistischen Phase. Hier finden sich zwar auch die theologischen Bilder und die Vogelgesänge, die in den folgenden Jahren für sein Schaffen bestimmend werden sollten. Mehrere der sieben Stücke sind aber ganz von rein musikalischen Konzepten wie seriellen bzw. modalen Ordnungen oder indischen Rhythmen bestimmt. Diese «rythmes hindous, variés, monnayés, et traités en valeurs irrationelles», prägen etwa die «Pièce en trio», die Nummer II des Zyklus. Die Oberstimme reiht diese zum Teil komplexen Rhythmen, die allerdings kaum erkenn- und unterscheidbar sind. Wesentlicher ist das intrikate Gewebe der drei unabhängig verlaufenden und doch ineinandergreifenden Stimmen. Durch die Registrierung sind sie schwer zu unterscheiden. Über das Stück hat Messiaen ein Zitat aus dem 1. Korintherbrief (13, 12) gesetzt: «Maintenant, nous voyons dans un miroir, d’une manière obscure…» – «Wir sehen jtzt durch einen Spiegel in einem tunckeln wort…» in der Luther-Übersetzung. Gerd Zacher hat diesen Spiegel in der Gegenüberstellung von indischer Rhythmik und europäischer Metrik entdeckt: «Hier wird wechselseitig Fremdes verfremdet.»
Ulrich Gassers «La Roche aux Fées» ist ein kurzes Gelegenheitsstück, komponiert zur Taufe seines Patenkindes und deshalb durchaus für eine Taufliturgie geeignet, aber keine geistliche Musik im engeren Sinn. Es bezieht sich auf die Legenden um die gleichnamige Megalithanlage aus der Jungsteinzeit in der Bretagne. Die Legende, so fügt der Komponist an, «berichtet, dass der Steintisch bei Essé von Feen erbaut worden sei und dass, wer ihn zerstöre, innerhalb eines Jahres sterbe. Die Feen hätten die gewaltigen Steine in einer Schürze aus dem weit entfernten Steinbruch herbeigetragen als wären es Kieselsteine. Als der Steintisch fertig war, riefen die Bauleute den Feen zu, dass sie keine weiteren Steine mehr bräuchten. Da schüttelten diese ihre Schürzen aus, dass die Steine zu Boden fielen. Dabei blieb einer aufrecht in der Erde stecken, während die andern um ihn herum verstreut zu liegen kamen. Dies ist der Ursprung der Steine von Rumfort, die man im Wald von Theil, unweit des Feenfelsens, findet. Versuchte man die Steine zu zählen, erhielt man nie dasselbe Resultat, denn die Feen verschoben die Blöcke fortwährend, zogen einen weg oder fügten einen andern hinzu, ohne dass man es merken konnte. Später aber gaben sie ihr Schelmenspiel auf und der Feenfelsen wurde zum Prüfstein für Verliebte. Der junge Mann ging rechts, das Mädchen links herum, und beide zählten die Steine. Waren sie rundum, mussten sie das Resultat vergleichen: Hatten sie gleichviel gezählt, lachte ihnen das Glück, betrug die Differenz nicht mehr als zwei, konnten sie noch hoffen, war sie aber grösser, dann war es besser, sie trennten sich.
Eine Zeitlang diente der Felsen einem Drachen als Unterschlupf, der verwüstete die ganze Gegend. Als aber der heilige Armel auf seinen Wanderungen in die Nähe kam und von dem Ungetüm hörte, fesselte er es mit seinem Gürtel um den Hals und stürzte es in den nahen Fluss. So heisst dieser noch heute ‹Blutfluss›.»
Rudolf Meyer, der langjährige Organist an der Stadtkirche Winterthur, schrieb seine «Toccata» für die Schwesterkirche in Zürich: zum 50-Jahr-Jubiläum der Metzler-Orgel im Grossmünster. Er schreibt dazu: «In diesem Werk werden verschiedene Bezüge zu Frescobaldi und Bach geschaffen, ganz besonders aber auch zu Huldrych Zwingli (‹Herr nun selbst den Wagen halt›).»
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Mittwoch, 21. Oktober 2015 | 13.45 Uhr