Nachtkonzert
Elazar Benyoëtz Wort
Daniel Glaus Orgel
Elazar Benyoëtz – Meister der Aphoristik
Elazar Benyoëtz nennt die elementaren Bausteine der Aphoristik «Einsätze». Er beherrscht die hohe Kunst, Wesentliches in einen einzigen Satz zu fassen, z.B.: «Wirklich ist, was sich träumen lässt» – ohne Schlusspunkt. Jeder «Einsatz» bleibt offen zum Weiterdenken. Unter den über hundert heute lebenden Aphoristikern ragt Benyoëtz allein schon durch seinen Lebenslauf heraus: Im März 1937 wurde er als Paul Koppel in Wiener Neustadt geboren, 1939 nach Israel gerettet, wo er 1959 sein Rabbinerexamen machte. Sein weiterer Werdegang umfasst die Postition als Lektor und Bibliothekar am Rabbi-Koch-Institut Jerusalem, von 1964-1968 den Aufbau der «Bibliographia Judaica» in Berlin und ab 1969 die Publikation zahlreicher Aphorismen- und Essay-Bände sowie Lyrik auf Deutsch und Hebräisch. Mittlerweile gilt er als «Erneuerer des deutschsprachigen Aphorismus und als legitimer Nachfolger von Lichtenberg, Nietzsche und Karl Kraus».
Wie kam es, dass der jüdische Lyriker den Sprung in den Sprachraum seiner ehemaligen Verfolger wagte? Dazu eine autobiographische Notiz: «Fast jeder meiner Generation, erst recht der älteren, hatte sich geschworen, deutschen Boden niemals zu betreten. Kam ein Israeli nach Deutschland, kam er verstohlen, verschämt, verhielt sich kleinlaut und war bemüht, nicht aufzufallen. Ich sollte der erste hebräische Dichter sein, der in der ‹verbotenen Zeit› sich länger in Deutschland aufhielt. Für die Erschaffung einer ‹Bibliographia Judaica› öffentlich werbend, erregte ich Aufsehen. Dafür musste ich lange büssen.» Später fasste er seine zeitgeschichtliche Position in einen Fünfzeiler:
«Und ich –
ein Jude nach Auschwitz,
ein Israeli in Jerusalem –
auf Mendelssohn
zurückgeworfen»
Welche Rolle spielt nun die Schweiz in diesem Wagnis des Über-Setzens von Israel nach Deutschland? Noch in Jerusalem stiess der hebräische Lyriker um 1960 in der Berliner Zeitschrift «Der Morgen» auf den Beitrag «Kafka und das Hiobproblem» der in Zürich lebenden deutsch-jüdischen Essayistin Margarete Susman. Fieberhaft suchte er nach der Autorin und fand die dem Erblinden Nahe in ihrem Dachzimmer an der Krönleinstrasse 2: «Ich hatte sie gesucht, sie hatte auf mich gewartet. Sie ist mir ganz natürlich geworden, was sie mir – und nur mir - war: Großmutter. Und so natürlich, von urher bestimmt und jäh wurde ich ihr Enkel. […] Das war mein spätes Morgenglück, aber auch schon der Anfang einer Reise an das Ende meiner Nacht: mit dem neuen, ebenso echten wie falschen Ahnenpass, als Enkel Margarete Susmans und dadurch legitimiert, ins deutsch-jüdische Schattenreich zurückzukehren und das Erbe, für dessen Schwere mir die Schulter noch nicht gewachsen war, anzutreten.»
Seit Jahren kehrt Benyoëtz, begleitet von seiner Frau, der Künstlerin Metavel, zu Vernissagen, Lesereisen und Ehrungen in deutschsprachige Länder zurück, sehr gerne auch in die Schweiz.
Hans-Jürg Stefan
Eintritt frei. Freie Platzwahl, Platzzahl beschränkt.
Zutritt nur nach Vorweisung eines offiziellen Ausweises. Kopfbedeckung für Männer.
Türöffnung: 22.30 Uhr. Kein Einlass nach Konzertbeginn!
Wir empfehlen Ihnen, sich frühzeitig an der Kapellenstrasse einzufinden, um längere Warteschlangen beim Eingang zu vermeiden.
Büchertisch im Vorraum zur Synagoge: Unmittelbar vor dem Eingang zur Bibliothek der Jüdischen Gemeinde werden vor und nach der Lesung Werke von Elazar Benyoëtz zum Kauf angeboten, auch einige Kunstbände von Metavel, der Gattin von Benyoëtz.
Am Freitagabend wird das SWR-Vokalensemble unter Leitung von Marcus Creed neben Meisterwerken von Arnold Schönberg und Heinz Holliger die aus der Zusammenarbeit mit dem jüdischen Aphoristiker inspirierte textlose Sinfonie für Stimmen "Ruach-Echoraum" von Daniel Glaus uraufführen. Link zum Konzert
Synagoge Bern | |
Donnerstag, 22. Oktober 2015 | 23.00 Uhr