Gedichte von Kurt Marti
1 hölle himmel
ich glaube nicht an die hölle enggläubiger christen
ich glaube nicht an die hölle bornierter fundis
doch bleibt mir im ohr was ein kluger jude gemurmelt:
«es muss eine hölle geben
– wo wäre sonst hitler?
es muss einen himmel geben
– wo wären sonst die vergasten?»
ich glaube dass schmerz und gedächtnis heilig
ich glaube dass sie weltenschwer wiegen
auf der waage des höchsten und des gerechten
2 friedensfragen
wie kann es frieden geben
für die völker der welt
solange ihr schicksal bestimmt wird
vom eigeninteresse einiger industrienationen
und ihres neokolonialen weltmarkts?
wie kann es frieden geben
für die völker der welt
solange der weltmarkt armut und hunger erzeugt
und nahrung obdach arbeit und schulung
als menschenrechte nicht anerkannt sind?
wie kann es frieden geben
für die völker der welt
solange wir vorherrschaft dulden
sei es von internationalen konzernen
sei es von ethnischen majoritäten?
wie kann es frieden geben
für die völker der welt
solange zur arbeitsbeschaffung
die waffenproduktion auch weiter [fehlt in Vertonung]
in schwung bleiben muss?
wie kann es frieden geben
für die völker der welt
solange wir rücksichtslos krieg führen
gegen die erde unsre geduldige mutter
und krieg damit auch gegen unsere kinder
wie kann es frieden geben
für die völker der welt
solange wir anstatt auf gott zu hören
in seinem namen uns gross machen wollen
und hass säen und fortzu neue gewalt?
wie kann es frieden geben
für die völker der welt
solange wir gottes absicht durchKREUZen
alltäglich zu sein unter uns und schön
in schonender liebe zu allem was lebt?
3 «du: der messias?»
I
«du: der messias»
soll simon
in einem augenblick der erleuchtung
gesagt haben
damals
II
und wie lange
ist seither
dein reich gepredigt worden?
gewaltiger noch als durch worte [fehlt in Vertonung]
mit feuer und schwert
mit kapital und gewalt:
ströme von tränen und blut
bis heute
da sich die völker
gigantisch doch ratlos
bedrohen
mit absoluter vernichtung
III
«du: der messias»
– und wir: die apokalypse unserer selbst?
sollen wir die letzten
oder die vorletzten menschen gewesen sein
auf diesem planeten?
wozu dann aber
willst du noch wieder kommen?
wozu – wenn dein reich der freiheit der liebe
keine menschen mehr vorfinden wird?
IV
du: ein messias
der gebirge der meere der winde nur noch?
archäologe des himmels vielleicht
auf zu später suche
nach spuren
des dann erloschenen ebenbildes gottes?
4 mutter unser (III)
mutter unser
die du heissest gerechtigkeit
führe im sohn
die sache der armen zum sieg
mutter unser
die du willst frieden
hilf uns die götzen stürzen
krieg und profit
mutter unser
die du kommst
aus den himmeln und bist
die schöne stadt gottes
5 intonation
singet dem herrn
der nie eine uniform trägt
der nie eine waffe ergreift
der tote zum leben erweckt
singet dem herrn
der nie einem fahnentuch traut
der nie an parolen sich hängt
der feinde als brüder entlarvt
6 feiertag
horch – geläut klingt von weit
weht da von ton um ton
nichts als hauch wie wir auch
7 ist klang der sinn?
ich sann nach sinn
ich hörte klang
ist klang der sinn?
auch rhythmus schwang:
bin der ich bin –
all sinn verscholl
der klang schwingt voll
8 die höhle das leben
I
ich
bald sterbend [fehlt in Vertonung]
noch nicht geboren
lausche
dem weltgesang
im leibe der mutter
ruhe
im flautenmeer
wärmender liebe
träume
in sämtlichen sprachen
seit babel
poche
voll neugier
an die höhle das leben
II
und eh’
ich denke
bin ich gedacht
und eh'
ich verstehe
bin ich verstanden
9 existenzgrad null
I
das müllen ist
des menschen lust
schon steigt der müll
uns bis zur brust
meer erde luft
ach sind vermüllt
atommüll noch
die enkel killt –
müllenium
müllenium
so müllen wir
einander um
II
Und der staat
steht
das land
liegt
das volk
fährt
reaktoren
werden bewacht
die bewachung
wächst
III
auf uns aber kommts nicht an
auf dich nicht
auf mich nicht
auf uns aber kommts
IV
und mittags
souffliert die sonne:
stelle dich taub
stelle dich tot
bis der wind
dich verweht
bis der himmel
zerfällt
bis aus dir
eine distel geworden
V
und nachts in den bergen
von wannen einst hilfe kam:
einsam die haut
im birkenlicht
gletscher wachsen
blau durchs gesicht
von gipfeln
stürzt jählings wind
ein nachtschatt
tastet sich blind